In der „Dagegen-Sackgasse“

Liebe Gartenfreundinnen und Gartenfreunde,    

Gartenarbeit kann eine meditative Tätigkeit sein, vor allem solche rein „manuellen Arbeiten“ wie das Entfernen von „Spontanvegetation“, um dem „gewünschten Grün“ wieder Luft zu verschaffen oder die Bodenvorbereitung für Ansaaten oder Pflanzungen. Die Hände werkeln automatisch vor sich hin und im Kopf kommen und gehen die Gedanken.     
Vergangenen Sommer konnte ich einen Außentermin in der Bodenseegegend mit einem Rabatten-Pflegeeinsatz auf dem Firmengelände der Roland Plocher GmbH (integral-ökologische Produkte für Garten- und Landbau) in Meersburg verbinden.     
Das Ganze wuchs sich zu einer „Last-minute-Rettungsaktion“ für die von uns gepflanzten Stauden aus, da bei der Bodenvorbereitung leider Lampionblumen und Beinwell, welche die Pflanzfläche damals schon stellenweise übernommen hatten, nicht wurzeltief gerodet, sondern einfach untergefräst und damit über fast das gesamte Beet verbreitet wurden.     
Es gab also für die Hände genügend zu tun, und ich konnte die langjährigen, aber aufgrund der großen Entfernung leider nur sporadischen Treffen mit dem im Oktober des vergangenen Jahres verstorbenen Firmengründer Roland Plocher im Geiste Revue passieren lassen und darüber zu sinnieren, wie er die heutige verfahrene Lage in Politik und Gesellschaft kommentieren würde, denn ein Wort war seinem Wortschatz völlig fremd, nämlich „gegen“.     
Seine in vielen eigenen Versuchen bewährten Wasser-, Boden- und Pflanzenhilfsmittel richten sich niemals „gegen“ einen Schaderreger, sondern „beleben“ das Wasser und den Boden als „Kraftquelle“ für die Pflanzen, unterstützen den Ablauf ihrer Lebensprozesse und erhöhen so ihre Vitalität und Widerstandsfähigkeit. Obwohl er mit der von ihm verwendeten „Informationsübertragungstechnik“ auch Schadorganismen und anderen nicht gerne gesehenen Gartenmitbewohnern „Unwohlsein“ bereiten und diese so von der befallenen Pflanze vertreiben hätte können, lehnte er solches als Eingriff in die natürliche Lebewelt strikt ab: Dafür (fördern) statt dagegen (bekämpfen) war sein Lebensmotto und dasselbe „Programm“ lebte er auch im Umgang mit seinen Mitmenschen, obwohl ihm das Leben oft schwergemacht wurde.     
Ich kenne kaum einen anderen Menschen mit einem solchen tiefen, aus dem Ein- und Mitfühlen entspringenden Optimismus. Seine Überzeugung von der Richtigkeit seines Weges trotz heftigen Gegenwindes aus der „etablierten Wissenschaft“ – die ja oft auch nur ein Kind ihrer Zeit ist, auch wenn dies viele ihrer durch Absolutheitsanspruch-Scheuklappen engsichtigen Vertreter leugnen wollen – sein kritisches Hinterfragen des „Das ist halt so“, seine unermüdliche Detailarbeit an Verbesserungen – er blieb zeitlebens ein Techniker – und seine Projekte auf der ganzen Welt machten jeden Besuch bei ihm zu einem neuen Erlebnis.     
Sehen wir uns in Politik und Gesellschaft um, regiert heute das „Dagegen“, indem ideologisch-kurzsichtige Lösungsversuche „durchgepeitscht“ werden, anstatt die Probleme von ihren Ursachen her gründlich zu überdenken, lebenspraktische Lösungswege zu sammeln und sich dann unter sorgfältiger Abwägung von Pro und Contra für den besten – d.h. den mit den geringsten „Nebenwirkungen“ – zu entscheiden.    
Als bekanntes Beispiel aus dem Garten sei der meist jährlich wiederkehrende Blattlausbefall z.B. von Rosen im Frühjahr beim Austrieb betrachtet:    
Dieser ist völlig normal, denn seine Ursache ist das „physiologische Ungleichgewicht“ der Pflanze in diesem Stadium, das durch das typische Wetter im April-Mai – schon sonnig-warme Tage bei noch kühlen Nächten – zusätzlich verstärkt werden kann. Zur Versorgung der austreibenden Knospen wirft die Pflanze die „Wurzelpumpe“ an, die das mit Zucker aus den im vergangenen Spätsommer-Herbst eingelagerten Nährstoffvorräten angereicherte Wasser nach oben drückt, d.h. die Pflanze steht unter Überdruck. Und dann braucht die Blattlaus nur die Leitgefäße anzustechen und ihr läuft der „Saft“ quasi von alleine in den Mund.     
Bei der oben beschriebenen Wettersituation wird dieser Überdruck noch verstärkt: Bei Sonne und Wärme läuft tagsüber die Photosynthese in den jungen Blättern auf Hochtouren, d.h. es wird aus Kohlendioxid aus der Luft und Wasser aus dem Boden mit Hilfe der Sonnenenergie sehr viel Zucker erzeugt. Und genauso wie Salz durstig macht, „zieht“ auch Zucker Wasser an und die Pflanze muss deshalb den wasserlöslichen Zucker in unlösliche und damit osmotisch „neutrale“ Stärke verwandeln. Und diese Umwandlungsreaktion ist wie alle chemischen Reaktionen temperaturabhängig, d.h. pro 10 ° Tempe­raturunterschied verdoppelt bzw. hal­biert sich die Reaktionsge­schwindigkeit.   
Kühle Nachttemperaturen bremsen die Umwandlung von Zucker in Stärke daher aus, so dass die Pflanze am nächsten Morgen schon mit einem „Zuckerüberschuss“ startet, also der „Überdruck“ noch mehr steigt, was natürlich den Blattläusen zupass kommt.    
Der kurzsichtige Lösungsversuch, mittels Pflanzenschutzmitteln das Problem zu lösen, ist deshalb von vorn herein zum Scheitern verurteilt, weil die Ursache ja weiter bestehen bleibt und zwar so lange, bis die Nächte auch wärmer werden und die entfalteten Blätter mit voller „Verdunstungsleistung“ arbeiten: Dann gibt es keinen „Zuckerüberdruck“ mehr und die Pflanze schaltet auf „Unterdruck-Normalbetrieb“ um, d.h. der durch das Abgabe des Wassers über die Blätter entstehende Unterdruck „saugt“ das Wasser aus den Wurzeln hoch.     
Die Blattläuse müssten dann gegen diesen Unterdruck ansaugen, und da das mühsam ist, suchen sie sich andere „Opfer“, d.h. sie verschwinden von ganz alleine, wenn sie vorher nicht von den sich etablierenden Nützlingen gefressen wurden.      
Dieses kleine alltägliche Beispiel macht deutlich, dass Probleme nur mit Fachwissen verstanden und gelöst werden können, niemals mit Halbwissen oder ideologischem Schubladendenken („böse schädliche Blattläuse“), und dass schnelle und einfach erscheinende Lösungen meist Holzwege sind, die mehr Schwierigkeiten nach sich ziehen als lösen. Und es zeigt auch, dass „wissende Geduld“ – nicht „verdrängendes Aussitzen“! – vor „Schnellschüssen“ mit negativen Folgen bewahrt.    
In beiden vorangegangenen Sätzen beinhaltet das Wort „(Fach)Wissen“ die zentrale Aussage: Ohne fundiertes Wissen als Grundlage ist keine fach- und sachgerechte Entscheidung möglich – und das gilt universell, angefangen bei unseren Gartenfachberater/innen (Fachberater-Lehrgänge), unseren Vor­ständen (Vereinsführungsseminare), und erst recht in Wirtschaft, Verwaltung und Politik.    
Die andere Säule, auf die sich „zielführende Entscheidungen“ stützen, nennt sich Erfahrung – und auch diese fällt einem nicht in den Schoß, sondern muss durch langjährige fachliche Arbeit erworben und meist auch mit „Lehrgeld“ bezahlt werden.   
Während meines Studiums arbeitete ich regelmäßig als Ferienarbeiter bei einem mittelständischen Auto­zulieferer, der vom Seniorchef aus einem Garagenbetrieb aufgebaut wurde – eine wirklich Achtung einfordernde Lebensleistung.   
Leider ist dieser einstmals florierende Betrieb dem „Gewinn­maximierungshype“ der aus dem Hörsaal direkt in die Führungs­etage gehievten „Effizienzsteigerer“ zum Opfer gefallen, die an einen Betrieb nur den (kurzsichtigen) Gewinnsteigerungsmaßstab anlegen, dabei aber eine langfristig-nachhaltige Unternehmenspolitik (Leben und leben lassen, auch im Verkehr mit Geschäftspartnern) und erst recht die für einen wirtschaftlichen Erfolg unabdingbare Mitarbeitermotivation völlig aus den Augen lassen.    
Dieselbe Entwicklung hat auch in der Politik stattgefunden: Die wenigsten ein Ressort führenden Politiker sind noch vom „Fach“ wie unser baden-württembergischer Land­wirtschaftsminister Peter Hauk MdL, der wirklich aus dem Forst kommt, oder unsere Justizministerin Marion Gentges MdL (selbst Juristin mit praktischer Anwaltserfahrung), sondern sind bei ihren Entscheidungen völlig von der Zuarbeit anderer abhängig, ohne deren Qualität – oder Absichten – fachlich bewerten zu können. Die Ergebnisse sind hinlänglich bekannt.    
Nutzen wir die „besinnlichen Tage“ vor und um Weihnachten, um selber wieder zur Rückbesinnung auf das Wesentliche zu kommen – nämlich die Art und Weise, wie wir mit unseren Mitmenschen zusammenleben(wollen). Blenden wir das Angst und Unsicherheit auslösende Presse-Bom­bardement mit oft überzeichneten Katastrophenmeldungen soweit wie möglich aus, nehmen wir bewusst die größtenteils von außen unserem Leben aufgezwungene und uns am Nachdenken hindernde – oder hindern sollende? – Hektik heraus, denn all das verleitet zum schnellen „Dagegen sein“.   
Ich wünsche Ihnen für das neue Jahr neben Gesundheit die „wissende Gelassenheit“ für Ihr eigenes Leben und das Miteinander in Ihrem Familien- und Bekanntenkreis – auch im Verein – positiv gestaltende Entscheidungen.     

Harald Schäfer, Fachberatung