Editorial November

Phänomene der pflanzlichen Anpassung    

Liebe Gartenfreundinnen und Gartenfreunde,     

viele Pflanzen besitzen das erstaunliche Vermögen, an unterschiedlichen Standorten zu gedeihen. Ein Beispiel dafür ist der uns allen bekannte Löwenzahn, den wir nicht nur in Gärten und Wiesen finden, sondern auch in großer Höhe in den Bergen. Je nach Standort unterscheidet er sich von den anderen durch Größe, Blattform, Färbung der Blüte. Wird der alpine Löwenzahn im Flachland ausgesät, wird sich sein Aussehen dem dort typischen Phänotyp angleichen. Dies bezeichnet man als Modifikation. Pflanzen haben eine gewisse Varianz, sich den Bedingungen anzupassen, zeigen dies in Statur und Gewebebildung: beispielsweise eine dickere Epidermis, stabilerer Zellaufbau, erhöhte Konzentration zellschützender Inhaltsstoffe. In der Praxis ist dies deutlich beim Vergleich von Gemüse, angebaut im Gewächshaus bzw. angebaut im Freiland, zu erkennen– letzterer ist für die Ernährung diätetisch wertvoller da eben auch gehaltvoller. Liegen die standörtlichen Bedingungen infolge Veränderungen außerhalb dieser Fähigkeiten, können evtl. neue Zuchtsorten verwendet werden, sofern die gewünschten Fähigkeiten über Wildsorten eingezüchtet werden können. Ansonsten sind andere, wärmetolerantere Arten zu verwenden. Wachstum und Ertrag hängen davon ab, bis zu welchen Temperaturen bei den Pflanzen die Spaltöffnungen (Stomata), gebildet von besonderen Schließzellen der Blätter meist auf deren Unterseite (sonnenabgewandt), geöffnet sind. Die Schließzellen regulieren den Gasaustausch der Pflanzen und damit auch die Kohlendioxid (CO₂)-Aufnahme. CO₂ ist sozusagen auch ein Nährstoff, der bei der Photosynthese zur Zuckergewinnung verwendet wird. Ist die Spaltöffnung geschlossen, gibt es keinen Gasaustausch und der Photosynthese-Apparat ruht. Verantwortlich für das Öffnen sind die Wasserversorgung der Pflanze und die Temperatur vor Ort. Sonne und höhere Temperaturen entziehen der Pflanze mehr Feuchtigkeit, welche mit dem Verdunstungssog über Stomata, den Gefäß-Verbindungen (Xylem) und Wurzeln dem Boden entnommen wird und den Wasserhaushalt ergänzt. Ein ausreichender Wasserfluss hält die Schließzellen unter Spannung (hoher Zellinnendruck = hoher Turgor) und die Spalten offen. Das entweichende (verdunstende) Wasser bewirkt zugleich eine Abkühlung der Atmosphäre infolge der schützenden Dunstglocke über der Pflanze. Wird es zu warm, der Wasservorrat im Boden reicht nicht mehr aus, schließen sich die Spaltöffnungen. Nun befindet sich die Pflanze unter Stress: keine Photosynthese,  keine Abkühlung, zunächst eine gewisse Phase der Wärmestarre, dann folgen über kurz oder lang Abstoßen der Blätter (Blattfall) zur Verringerung der Wasserverluste und der Beginn der Gewebeschädigungen. Früchte benötigen bei hoher Strahlung und Hitze sogar Beschattung, da dort die Schädigungen zuerst auftreten, da sie keine Stomata besitzen. Pflanzen Mitteleuropas beginnen meist bei Temperaturen um 30° Celsius die Öffnungen zu schließen. Pflanzen aus wärmeren Regionen sind in der Lage, die Spaltöffnungen bis rund 35 offen zu lassen. Pflanzen der wärmeren Regionen sind auch von ihren Zellstrukturen, Formen der Blätter, Sitz der Stomata, besondere Substanzausscheidungen, Wachsschicht, besser vor Hitze geschützt. Bewundernswert ist die Artenvielfalt, die sich hier in den Millionen von Jahren entwickelt hat. Als Extrembeispiel sind unter anderem die Kakteen zu nennen. Als weiteren Aspekt ist im Stoffwechselbereich die Unterscheidung in C3-, C4- und CAM-Pflanzen zu nennen. Wichtig ist die Menge an CO₂, die eine Pflanze verarbeiten kann. Dies ist bei C4- und CAM-Pflanzen, die im Laufe der Evolution einen Weg der Anreicherung von CO₂ bzw. einem bestimmten Zuckerprodukt mit 4 Kohlenstoffatomen gefunden haben, gerade bei höheren Temperaturen von immenser Bedeutung. Diese haben nämlich auf Vorrat gearbeitet, verfügen bei geschlossenen Stomata trotzdem über CO₂-bedingte Stoffwechselprodukte, die weiter verarbeitet werden können. Wenn CO₂ sich nicht so auf die Erwärmung niederschlagen würde, wäre der Effekt der höheren Assimilat-Rate der Blätter bei optimalen Temperaturen unter der 30°-Marke aber höheren CO₂-Konzentration der Luft sehr willkommen, was schon länger bei Gewächshauskulturen angewandt wird. Bekannte und wichtige C4-Pflanzen sind übrigens unter anderem Mais und Zuckerrohr.                         
Ihr Fachberater Jörg Gensicke