Große Vielfalt der Stiefmütterchen

Als Stiefmütterchen bezeichnet man eine Gruppe von Arten aus der Gattung der Veilchen (Viola) innerhalb der Familie der Veilchengewächse (Violaceae), die sich durch die gegenseitige Bedeckung der Blütenblätter auszeichnen: Das breite unterste Kronblatt, die „Stiefmutter“, bedeckt teilweise die seitlichen, die „Töchter“, und diese wiederum die beiden obersten, die „Stieftöchter“. Als weiteres gemeinsames Merkmal besitzen die Stiefmütterchen große Nebenblätter. Die seltenere Bezeichnung Pensee kommt vom französischen (herbe de la) pensée „Pflanze des Gedenkens“. Stiefmütterchen bringen nicht nur als Frühlingsboten farblich frohe Stimmung auf die Gartenbeete, sie sind auch wichtige Grabpflanzen.       

Als Arten unterscheiden wir Altai-Stiefmütterchen (Viola altaica), Ackerstiefmütterchen (Viola arvensis) – das Gewöhnliche A. und das Großblütige A, das Gelbe Galmei-Stiefmütterchen (Viola calaminaria), das Gespornte Stiefmütterchen (Viola calcarata), das Hornveilchen (Viola cornuta), das Violete Galmei­stiefmütterchen (Viola guestphalica), das Steppen-Stiefmütterchen (Viola kitaibeliana), das Sudeten-Stiefmütterchen (Viola lutea). Zu den Wilden Stiefmütterchen (Viola tricolor) zählen wir Dünen-Stiefmütterchen (Viola tricolor var. maritima), Felsenstiefmütterchen (Viola tricolor subsp. saxatilis), Gebirgswiesen-Stiefmütterchen (Viola tricolor var. polychroma) und das Gewöhnliche Wilde Stiefmütterchen (Viola tricolor var. tricolor). Die Kulturformen des Garten-Stiefmütterchen (Viola wittrockiana) umfassen zahlreiche Kreuzungen des Wilden Stiefmütterchen (Viola tricolor) mit anderen Arten, die je nach Sorte von März bis November blühen, als Einjährige oder Zweijährige kultiviert werden und von denen es heute eine große Auswahl an Farben und Formen gibt.  Der Name Schweizer Riesen weist mit seinem Namen auf die großen Blüten dieser Sorten hin, neu sind Miniatur-Stiefmütterchen aus der Kreuzung von Gartenstiefmütterchen und Hornveilchen und gefüllte Formen.  
Stiefmütterchen sind krautige, eher kurzlebige Stauden. Sie werden häufig „einjährig“ kultiviert und dann neu ausgesät. Ihr beliebter kompakter, aufrechter Wuchs verliert sich allmählich nach dem ersten Standjahr im Beet, was ein regelmäßiges Austauschen der Pflanzung empfiehlt. Die wintergrünen Blätter der Stiefmütterchen sind ei- bis herzförmig und unbehaart. Die Blütenfarben reichen von Weiß über Gelb und Rot bis zu verschiedenen Lilatönen. Neue Züchtungen zeigen gefleckte, geflammte und gestreifte Blütenblätter. Und es gibt Sorten mit gewellten Blütenrändern. Im Herbst gepflanzt, erstreckt sich die Blütezeit der Stiefmütterchen mit einer Pause im Winter bis in den Spätfrühling. Im Frühjahr gepflanzte Exemplare blühen von März bis in den Sommer hinein. Das Stiefmütterchen bildet gelbe bis gelbbraune Kapselfrüchte und hellgelbe, runde bis birnenförmige Samen. Die Samen werden wie bei den meisten Veilchenarten von Ameisen verbreitet. Der geeignete Gartenboden ist frisch bis feucht, locker, nährstoffreich und humos. Beliebt sind sonnige bis halbschattige Standorte. Die kleinen Blühwunder reagieren aber empfindlich auf Nässe.    
Eine Vorkultur der Samen kann von März bis Mai in Aussaatschalen mit Anzuchterde erfolgen. Das feine Saatgut der Lichtkeimer wird vor der Aussaat mit etwas Sand in der Hand vermengt und obenauf gesät. Bei maximal 18 Grad erscheinen an einem hellen Standort nach etwa 10 Tagen die Keimlinge. Direkt ins Beet werden Stiefmütterchen im Spätsommer mit einem Abstand von etwa 20 Zentimetern ausgesät. Wer sich bereits eine Blüte im Frühherbst wünscht, kann auch schon im Frühsommer aussäen.   
Stiefmütterchen werden in der Regel „zweijährig“ gezogen, das heißt, Jungpflanzen werden bereits im Herbst eingepflanzt. Da sie aber teilweise kälteempfindlich sind, sollte man sie entweder im Frühbeetkasten überwintern oder während der Frostperiode mit Tannenreisig abdecken. Topfpflanzungen sollten einen Rundum-Winterschutz erhalten. Neben den im Herbst angebotenen, spät blühenden Pflanzen bekommt man Stiefmütterchen auch für die Frühjahrspflanzung. Da diese in frostfreien Gewächshäusern herangezogen werden, sind sie jedoch nicht winterhart. Daher sollten Sie vorgetriebene Stiefmütterchen erst ab Mitte März in Töpfe oder ins Blumenbeet pflanzen. Wenn Sie den Frühlingsblühern bei der Pflanzung genug Platz lassen, erhöht das ihre Blühfreude. Um die Blühdauer zu verlängern und die Pflanze gesund zu halten, werden welke sowie beschädigte Blätter regelmäßig ausgezupft. Topfpflanzen bekommen alle zwei bis vier Wochen eine Düngergabe. Im Winter ist bei den Freilandpflanzungen eine Decke aus Schnee der beste Kälteschutz.    
Durch ihre späte Blüte im Herbst und das frühe Austreiben im Frühjahr sind Stiefmütterchen willkommene Farbtupfer­ im winterlichen Garten. Sie eignen sich sowohl als Solisten als auch als Lückenfüller und können mit allen Frühlingsblumen kombiniert werden. Ranunkeln, Hornveilchen, Bellis, Tulpen, Narzissen und Schneeglöckchen gesellen sich gerne zu den farbenfrohen Blüten der Stiefmütterchen. Außerdem eignen sie sich zur Unterpflanzung von Immergrünen und Hochstämmchen. Beliebt sind Stiefmütterchen aber auch zur Bepflanzung von Töpfen, Schalen und Balkonkästen. Hier entfalten sie in erhöhter Position ihre ganze Farbenpracht. Pflanzt man zu lila Stiefmütterchen gelbe Sorten oder setzt man neben blaue auch orange Blüten, steigern sich die Farben gegenseitig in ihrer Leuchtkraft.   
Stiefmütterchen leiden mitunter an einem Befall mit Echtem oder Falschem Mehltau an den Blättern. Bei zu viel Feuchtigkeit kann auch die Blattfleckenkrankheit zuschlagen. Behandlungen mit Pflanzenschutzmitteln sind jedoch nicht erforderlich, da die Pflanzen ohnehin nach wenigen Wochen entsorgt werden. Kein Grund zur Sorge sind eingerollte Blätter bei strengem Frost. Sobald es milder wird, glätten sie sich. Im Beet beachtenswert sind Schnecken, welche die Hauptfeinde der kleinen Blühpflanzen sind.    

Jörg Gensicke